Von Dr. L. Weisenburger und T. Farin
Sportmediziner Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, 82, war lange Mannschaftsarzt des FC Bayern München und der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Er ist überzeugt, dass Bewegung die Grundlage für ein gesundes Leben ist. Wie sich die auf unsere Muskeln, Bänder und Gelenke auswirkt, beschreibt er auch in seinem aktuellen Buch („Bewegung: Das Lebenselixier für unsere Gesundheit“). Im Interview mit der Apotheken Umschau spricht er über gesundes Altern, die Erwartungshaltung der Spitzensportler und welche Rolle Franz Beckenbauer für seine Karriere beim FC Bayern spielte.
Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt:
Nein, leider nicht, da ich sehr ungeduldig bin.
Ich bin in jungen Jahren schon mal aus der Klinik getürmt. Damals sollte ich nach meiner Operation noch 14 Tage beobachtet werden, ich aber bin nach fünf Tagen auf eigene Verantwortung gegangen. Es gab auch andere Operationen, wo ich am nächsten Morgen wieder in die Praxis gekommen bin und auch wieder gearbeitet habe. Zum Glück ist immer alles gut gegangen. Mir ist bewusst, dass ich damit kein Vorbild bin.
Weil die Wirbelsäule in ihrer Bedeutung allzu oft unterschätzt wird. Die Wirbelsäue ist die Schaltzentrale unseres Körpers, das zentrale Achsenorgan des Menschen. Von hier aus werden über motorische Nervenbahnen die Muskeln von Armen, Beinen und Rumpf gesteuert und koordiniert. Schäden oder Funktionsstörungen im Bereich der Wirbelsäule können empfindliche motorische Störungen, Schmerzen oder auch Muskelverletzungen im Sport verursachen.
Der Anspruch an gesundes Altern mit hoher Lebensqualität ist in jüngster Vergangenheit mehr und mehr zu einem viel diskutierten Thema geworden. Ich kann dazu einen einfachen Gedanken beisteuern: Werden Sie sich Ihrer Eigenverantwortung bewusst! Je früher, desto besser. Sie haben selbst in der Hand, gesund zu leben, gesund zu essen und vor allem Sport zu treiben.
Die Frage ist: Fühle ich mich gesund oder bin ich es auch? Ja, ich fühle mich jedenfalls gesund und leistungsfähig. Ich tue aber auch viel dafür. Egal wo ich bin auf der Welt, ich schnappe meine Schuhe und gehe joggen. Auf diesem Weg habe ich alle Parks der großen Städte der Welt kennengelernt.
Ich habe als junger Mensch meinen Körper oft überstrapaziert und eine Reihe von Verletzungen selbst erlitten. Es gab einige Operationen. Bei einem Ringkampf mit einem mir kräftemäßig deutlich überlegenen Freund erlitt ich einen Bandscheibenvorfall. Heute kann ich darüber lachen und mich dafür aber wunderbar einfühlen in die Patienten mit Bandscheibenproblemen.
Es ist häufiger so, dass Patienten verschiedene Orthopäden aufgesucht haben, aber ihnen nicht geholfen wurde. Bei fast allen dieser Fälle vermisse ich die Suche nach der Ursache der Beschwerden. Allzu oft setzt die Behandlung nur am Schmerzpunkt an. Da die Ursache nicht beseitigt wurde, kommen die Schmerzen zurück, die Patienten sind frustriert.
Ja, ich leiste mir diesen Luxus, ich lasse die Patienten reden, ohne sie zu unterbrechen. Ich lasse mir die Beschwerden von Anfang an schildern und kann die Diagnose dann meist schon erahnen. Danach erfolgt die Untersuchung, das Abtasten des ganzen Körpers und das Bewegen aller Gelenke. Auf diesem Weg finde ich Blockaden in Gelenken, verkrampfte Muskeln, blockierte Wirbel, Verletzungen oder auch Verspannungen, die auf die Probleme im Alltag zurückzuführen sind. Das Gespräch hilft auch, die Ursachen einer Verletzung zu finden.
Das ist nicht ganz einfach. Mein Glück ist, dass ich während des Studiums Massagekurse absolviert habe und gelernt habe, Muskeln zu ertasten und tief in die anatomischen Gegebenheiten hineinzuspüren. Man muss es sich in etwa so vorstellen: Ich taste und sammle Eindrücke, die ich dann mit meiner Erfahrung, meinem gespeicherten Wissen aus Tausenden Fällen verknüpfe und auf der Basis Diagnosen stelle.
Die Erwartungshaltung der Sportler ist sehr groß. Gerade war ein jamaikanischer Sprinter hier, der hat sich tagelang hier einquartiert, erhebliche Unkosten für die Reise auf sich genommen und hofft jetzt auf gute Ergebnisse. Meine Patienten kommen mit diesem Gedanken: „Jetzt bin ich endlich da, hier wird mir geholfen.“ Wenn ich die erhoffte Leistung nicht bringe, bleiben sie weg. Ich will Erfolg wie ein Sportler, ich will helfen und muss bei jedem Patienten, ob Hochleistungssportler oder nicht, meine Bestleistung bringen.
Das könnte man meinen, aber ich empfinde das gar nicht so, eher als Herausforderung, die ich gerne annehme, weil ich mich stark genug fühle. Ich will immer das eigentliche Problem finden. Ich bin jetzt fast fünf Jahrzehnte im Profisport tätig und habe mir zur Regel gemacht, so lange wie nötig mit den Sportlern zu arbeiten. Ich lasse keinen fallen, bleibe an seiner Seite, bis sich der Erfolg eingestellt hat. Profis haben nicht viel Zeit für ihre Karriere, mit 40 ist sie meist schon vorbei. Da zählt jede Saison. Manchen droht aber das Aus bei anhaltenden Schmerzen oder schweren Verletzungen. Da geht es auch um die wirtschaftliche Existenz, es geht aber auch um große Träume. Ich will den Sportlern helfen, ihren Traum weiterzuleben.
Ich habe da meine Zweifel. Es gibt immer weniger manuelle Untersuchungen. Aber ich wünsche mir eine Nachfolgegeneration, die sich wieder auf die Möglichkeit der Tastuntersuchung besinnt, also die Fähigkeiten der Hände. Und die imstande ist, zum Beispiel auf dem Fußballfeld oder in der Kabine Verletzungen zu erfühlen und zu diagnostizieren.
Absolut. Ich fühle mich als Mitbegründer der deutschen Sportorthopädie und Teil der Geschichte des FC Bayern. Ich habe von 125 Jahren des Vereins mehr als 40 Jahre am Aufbau und Erfolg mitgewirkt, eine Zeit, in der aus einem Klub mit weniger als 20 Leuten auf der Geschäftsstelle ein Riesenunternehmen mit über 1000 Mitarbeitern wurde. Ich habe die medizinische Abteilung aufgebaut und bin immer für die Bayern da gewesen. Der Verein war 24 Stunden präsent in meinem Leben, später dann auch die Nationalmannschaft. Was für eine Zeit mit allen möglichen Titeln im Fußball, bis hin zum Weltmeistertitel! Ich persönlich habe das Glück, dass ich so etwas werden konnte wie ein Pionier der Sportmedizin. Ich lebe und liebe den Beruf jeden Tag aufs Neue.
Wohl eine große. Als ich zu den Bayern kam, beobachtete mich Franz – damals Kapitän der Mannschaft. Nach vier Wochen kam er zu mir und sagte: „Mull, die Mannschaft will dich. Du bekommst drei Jahre Zeit, dich zu entwickeln, sieh zu, dass du der beste Sportarzt in Deutschland wirst.“ Ich hab die Chance genutzt, habe Institute und Fachleute in vielen Ländern besucht. Und dann hat Franz auch beim DFB dafür gesorgt, dass ich zur Nationalmannschaft kam.
Ja, das war es und ist es. Und es war ja nicht nur der Fußball, es gab die Leichtathletik, Olympische Spiele, Weltmeisterschaften und Auslandsreisen in alle möglichen Länder. Und in den 80er-Jahren kam auch Boris Becker. Der hat vor jedem großen Match seinen Physio anrufen lassen. „Boris möchte, dass du kommst. Sonst kann er nicht spielen.“ Ich war viele Male in London, Paris, New York, Melbourne. Des Öfteren für einen Tag hin und wieder zurück nach München, denn dort war meine Praxis, meine Existenz.
Ich glaube nicht. Ich habe immer sehr intensiv gearbeitet. Die Patienten haben aber in mir sehr viel positive Energie geweckt.
Von Kindesbeinen an! Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, da gab es früher nur einen Fernseher. Wenn ein Fußballspiel übertragen wurde, gingen mein Vater, meine Brüder und ich dorthin. Wir sind von Ostfriesland aus auch schon mal zu Hannover 96, Werder Bremen und zum Hamburger SV gefahren, mit einem kleinen Auto vollgepackt mit Familie.
Ich werde angefleht: „Hör bloß nicht auf, wir brauchen dich!“ Es ist kein Geheimnis, wie alt ich bin. Aber ich fühle mich im Vollbesitz meiner Kräfte und kann mir nicht vorstellen aufzuhören. Ich genieße weiterhin die Arbeit im Team zusammen mit meinen orthopädischen Kollegen, die nach meiner Methode behandeln, sowie unserem Osteopathen. Wir unterstützen uns gegenseitig, davon lebt unser Behandlungserfolg. Ich werde die Zeichen wahrnehmen, die mir sagen: Es ist Zeit aufzuhören.
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