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Ex-Bayern-Doc Müller-Wohlfahrt: Neue Therapie gegen die Volkskrankheit

Migräne weg ohne Chemie!

Artikel im Münchner Merkur / TZ vom 01. Juni 2023

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Artikel im Münchner Merkur / TZ vom 01. Juni 2023

Von Hanna Raif

Mehr als acht Millionen Deutsche leiden unter Migräne. Es ist eine Erkrankung, die wie ein Raubtier im eigenen Kopf wütet. Hans-Wilhelm Müller- Wohlfahrt, langjähriger Arzt des FC Bayern München, schwört auf eine Behandlung, die er selbst entwickelt hat. Auch ohne Medikamente, sagt er, sei eine Linderung möglich.

München – Das Bild des plüschigen Bären mag beim ersten Hinhören niedlich klingen. Aber wenn Ulla-Maria Augustyn den Satz „der Grizzly lebt bei mir in der Wohnung“ ausspricht, meint sie keineswegs ein nettes kleines Kuscheltier. Die Zahnärztin, 65 Jahre alt und gezwungenermaßen in Frührente, nennt das Raubtier, das seit fast 60 Jahren nicht verschwinden will, ein „Monster“. Regelmäßig wütet es in ihrem Kopf. „Du weißt nicht, wann es dich attackiert. Du weißt nicht, wie sehr es dich attackiert. Du weißt nicht, wie schwer verletzt du raus kommst.“ Ihre Stimme bricht, sie schluckt, spricht aus, was sie schon tausende Male erlebt, gedacht, gefühlt hat: „Du weißt nicht, ob du überhaupt rauskommst.“

"Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass wir Migräne-Patienten ohne Chemie behandeln können. Rein biologisch-homöopathisch. Und dass es funktioniert."

Ich kann die meisten schmerzfrei machen“, sagt Hans- Wilhelm Müller-Wohlfahrt über Migräne-Patienten.

Augustyn ist Migräne-Patientin, wie mehr als acht Millionen weitere Menschen in der Bundesrepublik. Die schwere neurologische Erkrankung trifft rund 15 Prozent der Frauen und sechs Prozent der Männer, die Dunkelziffer kommt hinzu. Man übertreibt nicht, betitelt man die regelmäßig auftretenden Kopfschmerzattacken als Volkskrankheit. Zwei von drei Deutschen leiden zumindest zeitweilig an Kopfschmerzen, nicht immer ist die Abgrenzung zur Migräne klar.

Im Fall von Ulla-Maria Augustyn gibt es keine zwei Meinungen. Mit sechs Jahren hatte die Schwarzwälderin ihre erste Attacke, mit 14 musste sie durch ihren ersten kalten Medikamenten-Entzug. Als „höchst suizidal“ bezeichnet sie ihren Zustand in Akutphasen und sagt über die zurückliegenden Jahrzehnte: „Ich habe in meiner Not und meinem Schmerz alles eingeschmissen, was es gibt.“

Wie ihr geht es vielen anderen. Augustyn sitzt in der Praxis von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, als sie ihre Leidensgeschichte erzählt. Das fällt ihr nicht leicht, immer wieder betont sie den „Horror“, wenn sie „spuckend, leidend, alleine“ in ihrem Bett liegt. Aber ihr Beispiel soll anderen helfen. Im Scherz sagt sie zu Müller-Wohlfahrt: „Ich würde Ihnen abraten, das zu tun. Sonst müssen sie noch weitere 80 Jahre arbeiten.“ Der lacht nur. Seine Antwort: „Das will ich! Ich will helfen! Und ich möchte, dass all jene, die unter Migräne leiden, wissen, dass es Hilfe gibt.“

Müller-Wohlfahrt, langjähriger Mannschaftsarzt des FC Bayern München und Sport- mediziner mit Leib und Seele, hat mehr als 50 000 Muskelverletzungen behandelt. Die weltbesten Athleten gehen bei ihm ein und aus. Als Ulla-Maria Augustyn vor einigen Wochen in seine Praxis kam, „war ihre Geschichte der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat“, erzählt er. Ihre Verzweiflung habe ihm die Augen geöffnet.

Seit Jahrzehnten weiß der 80-Jährige, dass er mit seiner aus der Sportmedizin entstandenen Therapie auch Migräne-Patienten helfen kann. Müller-Wohlfahrt geht noch weiter: „Ich kann die meisten schmerzfrei machen.“ Die Mission, die ihm zuletzt immer bewusster geworden sei: „Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass wir Migräne-Patienten ohne Chemie behandeln können. Rein biologisch-homöopathisch. Und dass es funktioniert.“

ohne medikamente ging nichts mehr

Anita Rebele hat die Behandlung geholfen. Schon vor 40 Jahren kam die Finnin nach einem Bandscheibenvorfall zum „Doc“, wie sie sagt. Und auch wenn der Nacken heute, mit 78, immer mal wieder zwickt: „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt Kopfschmerzen hatte.“ Dabei war die Migräne als junge Frau ein ständiger Begleiter, genau wie bei Giannina Knez und Adriana Bagaric. Mal häufiger, mal seltener; mal stärker, mal schwächer. Aber immer im Kopf.

Knez, 38, sitzt auf einem Stuhl und legt ihre Stirn auf den Behandlungstisch. Die langen Haare hat sie zu einem Dutt geknotet, der Nacken ist frei. Ab jetzt muss Stille herrschen, keiner spricht. Als Müller-Wohlfahrt drei Mal auf die kleine Spritze in seiner Hand klopft und tief durchatmet, weiß Knez: Die Erlösung naht. Zehn Nadeln setzt Müller-Wohlfahrt. Zunächst injiziert er ein Lokal-Anästhetikum, um dann die bei Muskelverletzungen seit Jahren bewährte Mischung um das Kälberblutpräparat Actovegin zu spritzen. Zehn Minuten volle Konzentration, dann sagt Knez: „Jetzt geht’s mir gut.“

Zehn Spritzen sollen bei Giannina Knez die Nackenmus- kulatur lockern und so die Migräne lindern.

Hinterhauptnerv im Migräne-Fokus

Bagaric, 28 Jahre jung und früher mindestens ein Mal im Monat arbeitsunfähig, nennt den Moment „Aha-Effekt“. Knez fügt hinzu: „Wie eine Klammer, die den Kopf im Griff hatte – und sich löst.“ In solchen Momenten klingt die Geschichte fast zu schön, um wahr zu sein, vor allem für Menschen wie Augustyn, die alles versucht hatten. „Man wird vollgepumpt“, sagt sie.

Die Verzweiflung von Migräne-Patienten trieb Müller-Wohlfahrt an, das Wirken seiner Therapie nun so zu ergründen, dass er es jungen Kollegen weitergeben kann. „Migräne-Behandlung heißt bisher Schmerzbehandlung“, sagt er. Ohne Tabletten, sagte ihm jüngst eine Patientin, konnte sie nicht mehr aus dem Haus gehen; sie waren überall gelagert, in jeder Skihose, Jacke, Handtasche und im Handschuhfach im Auto.

Von Ibuprofen über Triptane und Betablocker bis hin zu Antikörpern wurde schon alles erforscht; Sucht- und Depressionsgefahr inklusive. Der Ex-Bayern-Doc sieht die Hauptursache hingegen im Halswirbelbereich. Dass sie genau dort, zwischen dem zweiten und dritten Wirbel, gepackt werden könne, werde in der Wissenschaft bisher „komplett vernachlässigt“.

Müller-Wohlfahrt ist fast zufällig zu der Erkenntnis gelangt, die er in den zurückliegenden Monaten im engen Austausch mit dem renommierten Anatomen Prof. Michael Schünke herausgearbeitet hat. Während einer muskulären Behandlung sagte eine Patientin einst: „Was machen Sie da? Mein Tinnitus geht gerade weg.“ So erweiterte sich das Wissen um die Strukturen und Migräne-Ursachen stetig.

"Ich habe weniger Attacken, leichtere Attacken, muss massiv weniger Medikamente nehmen."

„Im Nacken gibt es so viele Muskelspindeln wie an keinem anderen Körperteil“, erklärt Müller-Wohlfahrt. Heute könne er mit Gewissheit sagen, dass der große Hinterhauptnerv – der „Nervus occipitalis major“, der unter anderem mit dem „Nervus trigeminus“ verschaltet ist – die Hauptschuld an Migräne-Attacken trage.

Wenn die Muskulatur verhärtet, durch die sich der sensible Nerv schlängelt, komme es, sagt Müller-Wohlfahrt, zu einem Reiz, der die typischen Symptome, unter anderem Übelkeit, Spannungskopfschmerz, und Lichtempfindlichkeit, auslöse. Insbesondere die Faszie des Halbdornmuskels (Musculus semispinalis) habe großen Einfluss.

Die Lösung liegt im Halswirbelbereich, sagt Ex-Bayern-Doc Müller-Wohlfahrt. Hier untersucht er Migräne-Patientin Giannina Knez.

Fotos: Markus Götzfried

Hier setzt Müller-Wohlfahrt an, zunächst mit seinen Händen, dann mit der Nadel. „Den Triggerpunkt“, sagt der Mann, der für seinen besonderen Tastsinn berühmt ist, „kann man fühlen“. Etwa „reiskorngroß“ sei die Struktur, die er treffen muss, damit sich „alles freimacht“.

Seine Patienten schickt er auch zu Osteopath Hub Westhovens. Sind die Blockaden gelöst und die Muskeln rund um die betroffenen Halswirbelbel entspannt, läuft alles Hand in Hand. Westhovens: „Zusammen machen wir aus eins und eins drei.“

Das aber, da ist sich Müller-Wohlfahrt sicher, können auch andere schaffen. Er möchte sein Wissen daher teilen. In Wochenendseminaren, bei Hospitanzen, egal wo: „Ich lasse mir gerne auf die Finger schauen. Ich will nur helfen.“ Augustyn sagt: „Das kann man ihm glauben.“ Während die besten Sportler der Welt im Gang auf den Doc warten würden, nehme er sie und ihre Beschwerden genau so ernst.

Vier Behandlungen hat sie hinter sich, drei im Abstand von einer Woche, die vierte eineinhalb Wochen später. „Ich habe weniger Attacken, leichtere Attacken, muss massiv weniger Medikamente nehmen.“ Wenn ihr Hund an der Leine zieht, blockiert nicht alles. Wenn sie Zug fährt, wacht sie nicht am nächsten Tag „im schwarzen Loch“ auf. Es ist mehr Lebensqualität da, mehr Selbstvertrauen. Plötzlich kommt sogar ein Lächeln auf Augustyns Lippen. Einen „Bulli-Van“ habe sie sich gekauft: „Ich will reisen, ich will leben!“ Der bedrohliche Grizzly darf daheimbleiben.

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